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Posted on April 22, 2017
Alexei Kostroma. Malevich and Matyushin. Sketch, 2016
Zwei Denker und Künstler, zwei Freunde, zwei Antipoden, Kazimir Malewitsch und Michail Matjuschin ergänzten sich gegenseitig wie Plus und Minus, jeder mit seinem eigenen Universum.
Beide waren sehr unterschiedlich im Charakter: der direkte und egozentrische Malewitsch brauchte den großzügigen, bescheidenen und intelligenten Matjuschin. Wenn man sich mit den Manuskripten der beiden Künstler beschäftigt, wird es klar, dass der Erste viel Wert auf die Meinung des Zweiten legte. Matjuschin seinerseits brauchte die Kritik seines strengen Freunds, der schonungslos die Wahrheit sagte.
Nach vielen Jahrzehnten der Vernachlässigung wurde Malewitsch auf einem Podest der internationalen Kunstgeschichte erhoben, während sein guter Freund noch eine lange Zeit unbekannt blieb.
Die Rolle von Matjuschin wurde bisher von Experten und Forschern der russischen Avantgarde stark unterschätzt. Warum? Dafür gibt es objektive Gründe.
Nach seiner fruchtbaren Arbeit hat Malewitsch ein ziemlich großes schöpferisches Erbe hinterlassen: Malerei, Zeichnungen, Objekte und Manuskripte. Zum Unglück für Matjuschin wurde nach seinem Tod sein Archiv, das zum großen Teil aus den Manuskripten und wenig aus den fertigen Kunstwerken bestand, in Privatsammlungen und Museen aufgeteilt und verstreut.
Gerade in den Manuskripten wird die Tiefe der langjährigen schöpferischen Arbeit von Michail Matjuschin enthüllt. Seine Ideen, die über eine direkte Aussage hinausgingen, waren ebenfalls radikal, jedoch im Gegensatz zu den Ideen von Malewitsch weniger deklaratorisch und obskur für ein unvorbereitetes Publikum. Unglücklicherweise ist der Großteil der Manuskripte von Matjuschin spurlos verschwunden. Aber allein die Fragmente des Denkens, die uns noch heute zur Verfügung stehen versetzen uns mit dem Maßstab des Glaubenssystems dieses Künstlers in Staunen.
Seit vielen Jahren arbeiteten Malewitsch und Matjuschin zusammen und diskutierten über neue Entwicklungswege der Kunst der Zukunft. Als Ergebnis hat jeder seine eigene einzigartige Sicht der Welt geschaffen.
Kazimir Malewitsch verkündete „die uti¬li¬ta¬ris¬tische Ökonomie der Formen“ in SUPREMATISMUS. "Eine suprematistische Form ist nichts anderes als Kraft der Handlung der utilitaristischen Vollkommenheit der kommenden konkreten Welt" (K. Malewitsch, 1923).
In Europa stellte Malewitsch dieses Konzept im Jahr 1927 in Berlin erfolgreich vor. Die minimalistische Idee des Suprematismus integrierte sich ziemlich schnell in die globalen Tendenzen der abstrakten Kunst der europäischen Kultur in 1920-1950 Jahre.
Der funktionelle Minimalismus „des Schwarzen Quadrats“ ist der visuellen Wahrnehmung der Europäer näher geworden. Die klaren monumentalen geometrischen Formen wirkten mit ihrem nüchternen Praktizismus perfekt auf das Publikum. "Quadratisch. Praktisch. Gut. "
Die Ökonomie der Form hat gewonnen.
Michail Matjuschin predigte die Erkenntnis des Raums durch das ZOR-VED-System (rus. Зрение + Ведание, Sehen + Verständnis).
Die Aufgabe eines Künstlers sah Matjuschin in "die Erkenntnis der Natur und der Welt als einheitlicher Organismus durch neue Arbeitsmethoden, die in vier Richtungen wirken - Tastsinn, Hören, Sehen und Denken - eine neue Kultur und einen neuen Organismus der Wahrnehmung in einem Künstler zu schaffen und zu entwickeln" (M. Matjuschin, 1922).
Die Tabellen von Matjuschin, die Malewitsch nach Berlin mitnahm, wurden aus unbekannten Gründen nicht vorgestellt. Die Vorstellung vom ZOR-VED-System in der professionellen künstlerischen Umgebung Berlins war für Matjuschin dringend notwendig, da es die einzige und letzte Möglichkeit war, diese Idee in Europa zu popularisieren. Das sowjetische Russland hat die Grenzen geschlossen. Michail Matjuschin blieb für eine lange Zeit im Schatten seines Freunds, Kasimir Malewitsch.
Heutzutage gibt es viele kunsthistorische Artikel über diese Künstler und ernsthafte Forschungen ihrer Werke, die ständig durchgeführt werden. Bisher treibt uns die Kraft des Magnetismus der Ideen von Malewitsch-Matjuschin an, immer wieder zurück zu gehen und über die Botschaft nachzudenken, die sie vor einem Jahrhundert geschickt haben.
ZWEI VISIONÄRISCHE IDEEN, ZWEI GRUNDSÄULE DER RUSSISCHEN AVANTGARDE
KAZIMIR MALEWITSCH
SUPREMATISMUS UND SPITZENTECHNOLOGIEN
"Das Wesen der Natur bleibt unveränderlich in allen wechselnden Erscheinungen" (K. Malewitsch, Manifest "Der suprematistische Spiegel", Sankt Petersburg, 1923).
Auf der Kunstausstellung „0,10“ (Sankt Petersburg, 1915) präsentierte Malewitsch zum ersten Mal in der Öffentlichkeit sein Konzept des "Suprematismus“. Er behauptete, dass er "sich in der Null der Formen verwandelte und über 0 minus 1 hinausging". Wenn wir die "0" als Ende des Lebens betrachten, dann gilt "minus 1" als seine immaterielle Fortsetzung in Form von Information.
Heute sind wir Zeugen der sich rasch entwickelnden Informations- und Kommunikations-technologien. Digitale Welt ist nicht mehr eine virtuelle sondern eine reale Wirklichkeit, die unser Bewusstsein, unser soziales Verhalten und unser ganzes Leben steuert. Jede Handlung des globalen Informationsnetzes wird mit zwei Ziffern 0 und 1 verschlüsselt, die sich in einer unendlichen Variabilität befinden.
Die Ziffern 1 (an) und 0 (aus), die für die Kodierung der Daten in der Programmierung ausgewählt wurden, vollständig kontrollieren und steuern Tätigkeiten des modernen Menschen.
Malewitsch verzichtete komplett auf Malerei und Künstler als "Vorurteil der Vergangenheit" und konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf „das Schwarze Quadrat“ und komprimierte damit die ganze Welt in diesem Zeichen.
Während heute er als Vater eines Prototyps des ersten Pixels gilt, scheint es sehr unwahrscheinlich, dass Malewitsch schon damals dachte, dass er die Tür in die virtuelle Realität des 21. Jahrhunderts öffnen wird und der Vorläufer der Informationstechnologien wird.
Eine interessante Tatsache ist es, dass Malewitsch auf der ersten Seite seines Werks "Suprematismus" (Witebsk, vom 15. Dezember 1920) einen Entwicklungsweg nicht von Kunst, sondern von Raumfahrt beschreibt.
Darüber hinaus sieht er die Möglichkeit der Entstehung einer künstlich geschaffenen technokratischen Zivilisation im unendlichen Raum des Universums voraus. "Die ganze lebende Welt, die bereit ist, in den Raum zu fliegen und einen besonderen Platz einzunehmen ..., die bereit ist, ihr eigenes Privatleben im riesigen Maßstab der Planetensystemen zu führen ...".
Durch die Einführung des Begriffs der "technischen Organismen“ nimmt er die Erfindung der Spitzentechnologien und der künstlichen Intelligenz vorweg. "Jeder suprematistische Körper wird mit der Intelligenz ausgestattet sein ..., wird in eine für die Umwelt natürliche Organisation einbezogen sein."
Durch das Prisma der Zeit sah Malewitsch den Vormarsch der organischen Nanotechnologie, die Prinzipien der Selbstorganisation der Natur nutzt.
MICHAIL MATJUSCHIN
ZOR-VED UND QUANTENWELT
"Die wertvollste Gabe für einen Menschen und einen Künstler ist die Erkenntnis des Raums" (M. Matjuschin, Manifest "Keine Kunst, sondern das Leben", Sankt Petersburg, 1923).
Im Gegensatz zu Malewitsch, der auf Malerei verzichtete, beschäftigt sich Matjuschin noch tiefer mit der Suche nach einer neuen Sprache der Malerei.
Im Zentrum der Aufmerksamkeit des ZOR-VED-Systems lag die Aktivierung der Gehirnaktivität durch die Wahrnehmung der Natur bei 360 Grad. Die Übung des sogenannten "erweiterten Sehens" sollte in einem Menschen die Fähigkeit der synchronen Beobachtung in alle Richtungen gleichzeitig entwickeln. Die Ergebnisse dieser Forschungen wurden von Matjuschin und seinen Schülern skizziert und analysiert.
Bei der Lösung konkreter Aufgaben bevorzugte Michail Matjuschin eine kollektive Arbeit am gleichen Problem. Jeder Schüler bildete seine Vision des Raums ab. Alle Beobachter haben das gleiche Objekt auf unterschiedliche Weise wahrgenommen und dargestellt. Jedes Gehirn bearbeitete und gab eine eigene visuelle Information. Das Objekt erschien den Schülern so, wie sie es sich in ihren Gedanken vorstellten.
Eine sorgfältige Beobachtung der Natur ging in der Tat nicht aus dem Objekt der beobachteten Realität aus, sondern war eine holographische Projektion dieser Wirklichkeit im Bewusstsein des Beobachters.
Durch Forschung und Analyse der Arbeit des Gehirns widmete sich Matjuschin der Suche nach einer neuen räumlichen Dimension ("der vierten Vertikale"), einem Raum, der vom Bewusstsein geschaffen wurde, das fähig ist, den physischen Zustand eines Menschen zu verändern.
Er bildete sein Verständnis der Materialisation der Ereignisse ab, die im Gehirn auftreten. Das mentale Bewusstsein der Realität öffnet sich dem Künstler-Visionär in Form von Quantenverschränkung neuronaler Verbindungen, die einen Raum der sich überquerende Sphären schaffen.
Die Laboruntersuchungen von Matjuschin und seinen Schülern von der Interaktion von Farbe, Klang und Form führten zu den phänomenalen Entdeckungen. Anschaulich, und zwar in Form von Tabellen, wurde die Gesetzmäßigkeit der Veränderung der Form eines Objekts bei der Veränderung seiner Farbe nachgewiesen. Außerdem wurde die Gleichzeitigkeit der Entstehung des Simultankontrasts um die Grundfarbe festgestellt, die identisch mit der Entstehung des Teilchens und des Antiteilchens in der Quantenphysik ist.
Matjuschins Interessen kreuzten sich mit den Wissenschaften, die von der Kunst weit entfernt waren. Bei der Suche nach Antworten auf die Fragen vereinigte er Philosophie, Anthropologie, Psychologie und Neurobiologie und trat dadurch als Vorläufer der Entwicklung der modernen Kognitionswissenschaft auf. Der Künstler widmete sich völlig der Erkenntnis des Raums und prognostizierte dadurch die Existenz der unsichtbaren Quantenwelt, die ähnlich wie Universum unendlich ist.
©Konzept und Text von Alexei Kostroma und Ekaterina Kondranina
First idea 23.03.2014. All rights reserved/ DACS, London
Berlin, den 16.08.2016