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Posted on September 15, 2015
DAS NEUE SEHEN
Die deutschen Künstler Stefan Heyne
und David Ostrowski über Abstraktion
und Reduktion in der Kunst.
Von Rebecca Jäger
In einer Zeit der alltäglichen Bilderflut, wird das Thema eines ungegenständlichen und sich minimalistisch gebenden Geschehens in der Kunst erneut zu einer durchaus interessanten Position. Kunsthistorisch zwar keine Neuerung, aber der Zeit entsprechend in einen logischen Kontext eingebettet, denn immerhin gilt doch nach wie vor, dass die Kunst – ob mit Partizipation oder Antithese – auf die Gegebenheiten und Veränderungen in der Gesellschaft (re)agiert. Das zeitgenössische Auge wird beim Akt des in-die-Welt-Schauens mehr denn je gefordert, während der dazugehörige Verstand gleichzeitig enorm ermüdet. Motiv-Fluten überschwemmen uns, besonders gerne mit dem Medium der Fotografie festgehalten: Unzählige dieser oft den ästhetischen Sinn beleidigende Bilder schwirren täglich massenhaft durch heutige Kommunikationsapparate in der lustlosen Hoffnung, rezipiert zu werden. Kein Wunder also, dass dies zeitgleich den Wunsch nach Reduktion und einem Innehalten, vielleicht auch nach einer sinnlichen Unschärfe, hervorruft. So agiert die Kunst elegant, ob in der Malerei oder in der Fotografie, und lädt ihre Betrachter ein, eine assoziative Nähe anstelle eines rein bildlichen Verstehens zu ihren Werken aufzubauen. Denn die abstrakte Kunst galt schon in den Zeiten ihres Aufkommens als Höhepunkt des Modernismus und befriedigt auch heute jene Sehnsucht nach Entschleunigung und Kontemplation.
Qvest sprach mit dem Fotografen Stefan Heyne (geb.1965 in Brandenburg/Havel) und dem Maler David Ostrowski (geb. 1981 in Köln) über ihre Kunst und die Abstraktion als eine erneut zeitgemäße Bildfassung von Realität.
QVEST: Die Abstraktion oder das nicht-gegenständlich-Vorhandene hat ja in Malerei und Fotografie ganz unterschiedliche Wege und Ausdrucksformen. Können Sie uns einen Arbeitsvorgang schildern? Wie kann man sich Ihre Arbeitsweise vorstellen?
S.H.: Wenn ich fotografiere, versuche ich dichter ans Auge zu kommen und schalte meinen Verstand aus. Dann ist sowieso alles abstrakt. Es geht mir um ein direkteres Sehen als es vielleicht im Alltag üblich ist. Wahrnehmung und Sehen sind Prozesse, bei denen die kollektive kulturelle Überformung eine große Rolle spielt, also der Kopf und das Denken; es gibt Konvention wie zu sehen ist, und es gibt auch Tabus, besonders in der Fotografie. Und gerade diese interessieren mich. Jeder verbindet ja irgendetwas mit dem Begriff Unendlichkeit. Dieser Unendlichkeit stehen scheinbar entgegengesetzt die ganz konkreten Dinge und Gegenständlichkeiten gegenüber. Ich halte diese Sichtweise für völlig überholt und suche die Unendlichkeit in den Dingen selbst.
D.O.: In meinem Atelier hängen zwei fiktive Neon-Leuchten, eine mit dem Schriftzug "Surprise", die aufblinkt, wenn ich mich über meine eigene Arbeit frage, wer diese gemalt hat. Dann ist es eine gute Arbeit. Leider blinkt sie kaum auf, aber ich versuche es trotzdem immer wieder. Die andere Leuchte trägt den Schriftzug “Think Harder“, und in der Tat kann ich mich über mangelnde Denkprozesse nicht beschweren. Was dabei rauskommt ist allerdings eine andere Sache. Zudem kommt ein weiterer Zustand hinzu, den ich als “Let loose“ bezeichnen würde. Die Materialien sind nur Mittel und Zweck, aus kaum etwas Etwas zu machen. Ich habe mir mal eingebildet, dass ich, sobald ich das Atelier verlasse, auch die Malerei hinter mir lassen kann. Tatsächlich denke ich am meisten bevor und nachdem ich im Atelier war über das Medium nach.
QVEST: Herr Ostrowski, Sie haben einmal gesagt, dass Sie während der Arbeit versuchen, all Ihr Wissen über die Malerei zu vergessen und bemüht sind, mit der rechten Hand so zu malen, als ob es Ihre linke wäre... Das ist eine wunderschöne Beschreibung für den eigenen künstlerischen Arbeitsprozess. Verraten Sie, wie genau man sich so einen Akt vorstellen darf?
D.O.: Es ist ein primitiver Trick, der zum Kontrollverlust führen soll. Ich nutze Geschwindigkeit gerne, um Unwahrscheinliches zu ermalen und um Fehler zu provozieren. Ich versuche, mich konstant selbst zu manipulieren, ich will ständig auf etwas reinfallen und die Kontrolle verlieren, um Spannung zu erzeugen. Ich bin ein Meister der Verdrängung und vergesse fast permanent, wie ich die Arbeiten zuvor gebaut, grundiert und gemalt habe. Paradoxerweise findet im Atelier eine Art Entschleunigung statt, ich bin fast ausschließlich damit beschäftigt, etwas zu suchen. Fehler sind Chancen, dass etwas Neues entstehen kann. Je länger man sich mit der Fehlersuche beschäftigt, desto unwahrscheinlicher ist die Entstehung von Fehlern, aber ich bleibe naiv!
QVEST: Herr Heyne, auch bei Ihnen spielt das Scheitern im Schaffensprozess eine große Rolle. Wo findet es bei Ihnen statt, und welche Relevanz hat diese Krise für Ihre Kunst?
S.H.: Scheitern ist ja irgendwie die Grundlage, genauso wie Langeweile. Mich interessiert immer das, was ich nicht kann und was ich nicht verstehe.
Eine Fotografie zielt ja eigentlich immer auf ein Abbild, und dieses zielt wiederum auf einen Vergleich. Kunst und Vergleich sind aber zwei Dinge, die sich ausschließen. Kunst ist genau das, was sich dem Vergleich entzieht. Diese Krisen haben ja oft was sehr Entspannendes, finde ich. Auf einmal kippt alles und verlässt das Gewohnte und erreicht so etwas wie Freiheit, weil es sich eben den Kategorien entzieht. Du stehst vor etwas, das es bisher noch nicht gab und für das es noch keinen Begriff gibt. Es ist da, aber Du weißt nicht, was es ist, was Du da siehst. Aber dazu muss es natürlich erst einmal kommen. Arbeiten ist im Grunde das forcieren von Krisen. Etwas, was mein Arbeiten ganz gut beschreibt ist "waiting, sitting, fishing". Das hat auch etwas von auf der Lauer liegen, und wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Diese Spannung muss man auf Dauer aushalten können.
QVEST: Auch wenn das abstrakte Bild sich scheinbar von den klassischen Regeln des Bildaufbaus befreit hat, spielen Schönheit und Komposition wie auch in gegenständlichen Bildern eine Rolle. Oder?
D.O.: Meine Malerei muss mir gefallen, sie darf auch schön sein. Meine Bilder müssen mich manchmal überraschen, und fliegen sollten sie ab und zu auch. Auf keinem Fall sollten sie dumm und tot gemalt sein, sie dürfen aber durchaus nerven. Ich habe hohe Ansprüche... Meine Antwort erinnert mich gerade an folgenden Witz:
Sie sagt: „Du, Schatz...wenn ich Dir einen geblasen habe und ich Dir Bier aus dem Keller geholt habe...Darf ich dann auch mal auf der Couch liegen?“ Darauf er: „Ich höre hier immer nur: Ich...Ich...Ich.“
S.H.: Es geht mir um die Frage, was eigentlich ein Bild ist, ab wann wird etwas zu einem Bild, was braucht ein Bild? Ob Schönheit oder Komposition, es geht letztendlich immer um Spannung. Spannung im Bild, die sich bei seinem Betrachten auf Dich überträgt. Reduktion ist eine Möglichkeit, Spannung zu schaffen, es geht aber auch umgekehrt. Was schält sich aus dem Nichts, das ja kein Nichts ist, hervor. Ob man von da oder da beginnt, spielt keine Rolle für mich. Es kommt darauf an, diesen Punkt der maximalen Spannung nicht zu verpassen. Erst dann entsteht ein Bild.
Es geht mir um so etwas, wie den Nullpunkt des Bildes zu finden.
QVEST: Über Ihre Arbeiten, Herr Ostrowski, wird gerne gesagt, dass kaum etwas zu sehen ist, dass annähernd nichts gezeigt wird. Tatsächlich gibt es Arbeiten, die - grob gesagt - aus weißem Papier auf weißer Leinwand bestehen, eine doch sehr radikale Haltung, der Begriff „minimal“ greift hier fast nicht mehr. Und auch bei Ihnen, Herr Heyne gibt es Werke, die fast nichts zeigen, außer dem Verlauf von Licht ...Geht die Abstraktion also auch immer mit der Reduktion Hand in Hand?
D.O.: Malerei ermöglicht mir mit den wenigsten Mitteln die höchstmögliche Emotion zu erzeugen, und da ich ein romantischer Maler bin läuft ziemlich viel Drama ab. Meine Bilder sind wie ich, oft leer, voller Emotionen und mit einem Hang zum Suizid. Ich habe früher gegenständlich gemalt und bin schnell an die Grenzen der figürlichen Malerei gestoßen, hatte nichts mehr zu sagen, nichts mehr zu besprechen. Der Prozess weg vom Bildhaften hin zum Unverständlichen war ein natürlicher, der auch damit einherging den Versuch zu starten, etwas Neues zu schaffen, das ich nicht kenne. Oder zumindest so gut geklaut habe, dass es zu meinem wird und überraschend bleibt. Malerei ist für mich die Sinnsuche im Unsinn. Es geht mir nicht um Verstehen, es geht um das Nicht-Verstehen.
S.H.: Kunst ist doch das genaue Gegenteil von Regeln und Kategorien.
Realität und Abstraktion, diese beiden Kategorien machen eigentlich wenig Sinn. Zumal ja die Begriffe argumentativ immer gegeneinander ausgespielt werden sollen. Also entweder oder, das eine ist entgegengesetzt zum anderen, und Realität wäre letztlich die Grundlage für Abstraktion und lässt sich aus ihr ableiten. Nichts ist so abstrakt wie die Realität selbst, und sowieso ist nichts wie es scheint.
Ebenso ist es mit den Regeln, es kann ja wohl nur darum gehen, sie zu brechen und ein Territorium zu betreten, wo nicht schon am Eingang der Platzanweiser steht und sagt: Hier entlang bitte, denn ich kenne mich hier bestens aus - sondern wo Du ganz alleine bist und vor Dir noch keiner war.
QVEST: Gemeinhin könnte man ja sagen, dass alle Unschärfe und das nicht direkt Verstehbare genau hierdurch einen Reiz erhalten, also begehrlich und attraktiver werden, da sie die Imagination fordern. Sind das Wesenszüge von Abstraktion?
D.O.: Der Wesenszug von Abstraktion interessiert mich nicht. Ich glaube an malerische Inhalte und die Beschäftigung mit dem Medium Malerei an sich. Wissen kann generell auch nicht schaden, aber was weiß man schon? Vielmehr stellt sich mir die Frage, welcher Rezeptur bedarf es, um eine gute Arbeit zu machen? Ich bin Maler, und meine Aufgabe ist es, gute Arbeiten zu malen. Das Atelier ist manchmal auch ein Labor, in dem sämtliche malerische Fragen untersucht werden. Der Rest sind Dinge aus dem Leben da draußen, die ins Labor geholt und dort durch ein Sieb geschüttet werden. Die fertigen Arbeiten sind dann Vorschläge, die ich biete, nachdem sie von meiner Stiftung Warentest überprüft und dann freigegeben wurden.
S.H.: Das sehe ich im Prinzip genau so. In der Fotografie geht es nur um Fotografie und nichts anderes. In der Arbeit spielen Kategorien keine Rolle, darin genau liegen ja Reiz und Privileg.
Interessant ist ja hingegen, wie unterschiedlich die Rezeption von Fotografie und Malerei zu sein scheint. Dort kommt Abstraktion im Hinblick auf Fotografie ja einem Tabubruch gleich.
Es taucht sofort die Frage nach der Wahrheit auf, die in der Fotografie sklavisch an das Abbild gekettet ist. Dass auf einem Gemälde nichts drauf sein kann, ist wohl vertrauter, das ist bereits in die Geschichte der Malerei eingeschrieben. Hinzu kommt, dass Fotografie als einziges Medium High End und Massenmedium zugleich ist. Es läuft zur Kunst also immer ein anderes Programm parallel mit.
Und dadurch fühlt sich jeder automatisch aufgefordert, sein Smartphone zu zücken (wer hat schon immer Pinsel und Leinwand dabei) und zu sagen: Spinnst Du, so ist es doch gar nicht in Wirklichkeit. Schau gefälligst hin und sieh selbst. Und dann kommt ein anderer hinzu und sagt, da hat er jetzt aber Recht, ich sehe das genauso, schau mal, hier ist mein Beweis und zückt dabei ebenfalls sein Smartphone. Dieses gemeinsam geteilte Sehen durch einen Apparat, dessen wesentliches Bauteil den Namen Objektiv trägt, verursacht irgendwann so etwas wie einen "Realitätsstau". Das ist es, was gerade in der Fotografie passiert und was sie aus meiner Sicht so spannend macht.
Beim Arbeiten spielt das keine Rolle für mich.
Wenn ein Bild an der Hülle, der sichtbaren Oberfläche der Gegenstände kleben bleibt, ist es eben auch oberflächlich. Das liegt in der Natur der Sache. Fotografie ist für mich die Möglichkeit, den Tag sinnvoll zu verbringen, und ich schätze Fragen wesentlich mehr als Antworten. Es geht im Grunde darum, eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten und nicht mit einer Antwort. Wenn das nicht unterbrochen wird, entsteht Gravitation.
Bilder sind Gravitationsfelder.