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EINER FLÜSTERT DEM ANDEREN INS OHR / ONE WHISPERS INTO THE EAR OF SOMEONE ELSE


Posted on February 9, 2017


EINER FLÜSTERT DEM ANDEREN INS OHR / ONE WHISPERS INTO THE EAR OF SOMEONE ELSE   |  News
EINER FLÜSTERT DEM ANDEREN INS OHR / ONE WHISPERS INTO THE EAR OF SOMEONE ELSE

»Get here, I need the key!«, Edition ESCAPES, ReimersdahlDippmann, Berlin 2016 © Studio Ivonne Dippmann

Ein abgedunkelter Raum voll leuchtender Farben, teils von formaler Strenge, teils in organischen Formen und fließenden Übergängen. Doch wohnt den großformatigen Bildern nichts Liebliches inne, nichts was einlädt zum genüsslichen Verweilen und Ausruhen des Blicks. Auch nichts Verspieltes. Vielmehr sind sie trotz ihrer Opulenz an Farbe und Form geprägt von Klarheit und Stringenz. Ivonne Dippmann fordert die Besucher ihrer Ausstellungen – unter anderem, indem sie eine Vielzahl von Sinnen und Ebenen anspricht. Reizüberflutung? Die Farben sind kraftvoll und von latenter Agressivität. Hinzu kommt ein Licht- und Farbspiel an Wand und Decke durch verschiedene Lichtquellen im Raum und die Rotation der großen Stahlobjekte im Zentrum der Inszenierung, welche zudem ein leises Klirren von sich geben, hervorgerufen von Metallspänen in ihrem Innern. Es fällt schwer, sich auf etwas zu konzentrieren, der Blick wird immer wieder abgelenkt von anderen, gleichberechtigten Elementen. Und vielleicht liegt gerade auf dieser Ablenkung ein wesentlicher Fokus der Ausstellung.

„Einer flüstert dem Anderen ins Ohr“ – wir wissen nicht, wer wem wann und warum was ins Ohr flüstert. Ist es ein Geheimnis? Wäre es gefährlich, wenn ein Dritter davon erführe? Oder peinlich? Wer flüstert überhaupt? Geheimnisträger und Geheimnisjäger tun es, Verfolgte und Verfolger, Liebende … Wie so oft spielt die Künstlerin auch bei diesem Titel wieder mit Erwartungen und Bedeutungen. Während sie sich intensiv mit dem Grundvokabular der Malerei – Farbe, Fläche, Form und Linie – auseinandersetzt, löst sie ihre Kunst doch nie ganz von außerhalb der Kunst liegenden Themen. Obgleich ihre künstlerische Entwicklung der letzten Jahre sie immer weiter von der zeichnerischen Figürlichkeit ihrer frühen Arbeiten weg- und zur farbigen Abstraktion hinführte, schwingen autobiografische, psychosoziale und politische Themen weiterhin in ihren Arbeiten mit. Immer wieder thematisiert Ivonne Dippmann Brüche und Transformationen im Leben einzelner Menschen oder in gesellschaftlichen Strukturen. Während diese früher gegenständlich in den Figuren sowie ihren Haltungen und Handlungen und einzelnen Textelementen sichtbar wurden, finden sie nun (abstrahiert und zugleich konkret) auf der formalen und technischen Ebene sowie im Bezug zu Raum und Rezipienten statt. Diese Brüche innerhalb der einzelnen Arbeiten sind nicht entschlüsselbar, doch sehr wohl deutlich wahrnehmbar.

Zu Textilien und der Textilindustrie bestehen persönliche Bezüge. Vor diesem Hintergrund erinnern die rotierenden, strikt und geradlinig mit farbiger Wolle bespannten Metallobjekte an überdimensionale Garnspulen oder die komplexen Systeme aus abspulenden Fäden in Webereien. Doch wichtiger als diese Assoziation ist die Wirkung der Objekte im Raum: Ivonne Dippmann hat Ausstellungsräume nie nur als Orte zur Präsentation ihrer Atelierarbeiten begriffen – stets wird der Raum hinterfragt, erobert, verändert, gestaltet, gebrochen, überschrieben, ergänzt. Wandmalereien, ortsbezogene Installationen, interaktive Elemente und Performances sind hierfür ihre Mittel. Die Themen Freiheit und Vergänglichkeit scheinen in vielen ihrer Arbeiten auf.

Am Abend der Vernissage findet eine Performance statt, und die Künstlerin nimmt sich die Freiheit, diese nicht als Eröffnungsevent, sondern als eigenständiges Werk und integralen Bestandteil der Ausstellung zu betrachten. Eine Person durchschreitet den inszenierten Raum auf den Wegen, die für die Besucher vorgegeben sind und verharrt immer wieder minutenlang an bestimmten Positionen. Gekleidet ist sie in Textilarbeiten, die Ivonne Dippmann gemeinsam mit Andrea van Reimersdahl als Unikate entwickelt und herstellt. Die Stoffe und Formen weisen in ihrer Farbigkeit und formalen Strenge Gemeinsamkeiten mit den gezeigten Bildwerken auf und sind doch eigenständig. Im Rahmen der Ausstellung vexiert die Performance-Figur zwischen Camouflage und Kontrapunkt, verschmilzt mit der Installation und kontrastiert diese gleichzeitig, ergänzt eine weitere, verunsichernde Bewegung und bietet zugleich Momente des kontemplativen Innehaltens.

Lediglich im Kontext der Performance taucht eine Figur auf. Sämtliche anderen Arbeiten sind abstrakt. Doch sie sind es in einer Weise, die das Auge suchen lässt nach Erkennbarem, die lasierte, scheinbar organische Formen mit deckenden Farbflächen und geometrischen Formen kontrastiert. Erinnerungen an Landschaften scheinen auf und verschwinden wieder. Schichtweise aufgetragene Farben geben dem Bildraum Tiefe, wenngleich die einzelnen Schichten nicht eindeutig in Vorder- und Hintergrund unterschieden werden können. Hierbei ist es eine Besonderheit, dass Dippmann die einzelnen Arbeiten auf Papier nicht unabhängig voneinander herstellt: Formen und Farben fließen von einem Blatt auf ein anderes, Linien setzen sich an anderer Stelle fort. Die für sie wesentlichen Gestaltungsschritte von Fläche, Form, Haptik der Farbe und Linie führt die Künstlerin parallel an mehreren Blättern aus. So schafft sie für jede Ausstellung eigene Werkgruppen, in denen jedes Blatt mit den anderen in offensichtlichem Zusammenhang steht. Die entstehende Kohärenz ist in der Ausstellung durchgängig wahrnehmbar.

Dieses Prinzip setzt sich in der Inszenierung des Raumes fort, in der sich die einzelnen Elemente - in all ihrer Unterschiedlichkeit - harmonisch aufeinander beziehen, voneinander abhängen und miteinander kommunizieren. Hierdurch ergibt sich eine formale und inhaltliche Geschlossenheit - eine Harmonie, im Rahmen derer Ivonne Dippmann Brüche und Ambivalenzen thematisiert.

© Stefan Dupke, im Januar 2017

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»Get here, I need the key!«, Edition ESCAPES, ReimersdahlDippmann, Berlin 2016 © Studio Ivonne Dippmann