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Posted on October 20, 2015
Berliner Morgenpost
Das Haus am Waldsee zeigt Skulpturen der Künstlerin
Selten ist Konzeptkunst so sinnlich wie bei der 1979 in Kattowitz geborenen Künstlerin Alicja Kwade. Doch der Schein trügt, denn hinter der Oberfläche verbirgt sich ein tiefgreifendes philosophisches Werk, das sich der Frage widmet, was die Welt im Innersten zusammenhält. Das Universum wird in seiner ganzen Vielfalt untersucht, analysiert, zerrieben, gespiegelt und auf den Kopf gestellt. Im Mittelpunkt stehen dabei die Bilder, die wir uns davon machen, die Täuschungen, denen wir dabei leichtgläubig unterliegen und die Möglichkeiten, die wir übersehen.
Dazu bedient sich Alicja Kwade aller möglichen Techniken und Medien, arbeitet mit Fotografie, Film, Skulpturen und raumgreifenden Installationen. Das Haus am Waldsee zeigt in seiner aktuellen Ausstellung vor allem ihren Skulpturen und Rauminstallationen und Arbeiten, die eigens für das Haus entstanden sind und solche, die in Berlin bisher noch nicht zu sehen waren.
Manipulierte Wartesaaluhr mit eigenwilligem Sekundenzeiger
Die Arbeiten faszinieren mit ihren Überlegungen zu Zeit, Raum und Schwerkraft, viele von ihnen haben einen minimalistisch surrealen Zauber und führen mit spielerischer Leichtigkeit. Eine manipulierte Wartesaaluhr irritiert mit einem eigenwilligen Sekundenzeiger, der mal schneller und mal langsamer fortschreitet und dabei das unregelmäßige Metronom eines Uhrwerks erklingen lässt. Was ist Zeit, die nach Einstein nachweisbar in Abhängigkeit zur Schwerkraft relativ ist? Bei Kwade steckt sie in filigranen Skulpturen aus den zackigen Linien aller Zeitzonen, künstliche Ordnungsmodelle zum Festhalten dieser flüchtigsten aller Dimensionen oder in verspiegelten blinden Uhren, die nur noch einen schnellen Takt erklingen lassen.
Eine Tür dreht sich, ihrer Funktion beraubt, spiralförmig um sich selbst und verweist auf eine Grundform in der Natur. Zerfließende Spiegel, an die Wand gelehnt, lösen den Raum auf, lassen an Dalís Uhren denken und sind zugleich ein Stück Poesie. Wie jener Abakus, ein Rechenwerkzeug aus alten Zeiten, dessen Steinchen – hier wirklich rund geschliffene Steine – auf den Fußboden gerollt sind: ein melancholisches Bild für den Wunsch nach einer abschließenden und doch vergeblichen Vermessung der Welt.
Doppelgänger begegnen uns allenthalben, ein Stein, der gespiegelt scheint und doch nur einem Zwilling in anderem Material hinter einer Glasscheibe gegenübersteht, zwei Äste von gleicher Form als ironische Fußnote der Natur, ein Porträt der Künstlerin in Rückenansicht und das täuschend ähnliche Spiegelbild einer Fremden – ein Spiel mit Wahrnehmung, Illusion und Täuschung sowie wissenschaftlichen Modellen von Paralleluniversen.
Wie herrlich ist das komplizierte System aus Kupferrohren und Trichtern, das über zwei Etagen Wände und Decken durchbricht, verschwindet und unverhofft wieder auftaucht, aus dem Steine und Sandhaufen ausgespuckt werden oder an das sich vergängliche Lilien schmiegen – ein kompliziert mäanderndes Gebilde, das Wurmlöcher als kürzeste Verbindung zwischen schwarzen Löchern und deren Energiebahnen in den Raum übersetzen soll. Denn so tief steigt Alicja Kwade in philosophisch-physikalische Denkmodelle ein, wenn sie nach skulpturalen Formen sucht, die uns darüber nachsinnen lassen.
In diesem und im vergangenen Jahr ist die junge Künstlerin vielfach ausgestellt und geehrt worden, bereits jetzt gilt sie als arriviert. Für Katja Blomberg, Direktorin des Hauses am Waldsee, liefert Alicja Kwade die "wichtigste bildhauerische Position einer Frau in ihrer Generation".
Alicja Kwade – Monolog aus dem 11ten Stock. 22.11.2015, Di-So 11-18 Uhr. Haus am Waldsee. Argentinische Allee 30, 14163 Berlin. Regulär sieben Euro, ermäßigt fünf Euro (Angela Hohmann)