...Page is loading...
Posted on March 6, 2017
Matthias Kampmann reviews Jorinde Voigt`s exhibition, A New Kind of Joy (Mittelbayerische.de - February 22, 2017).
--
Jorinde Voigt untersucht in ihrer Kunst alltägliche Phänomene. Ihre Zeichnungen sind nun in der Kunsthalle Nürnberg zu sehen.
NÜRNBERG. Es ist befremdlich, wenn man Kunst anschaut und einen plötzlich das Gefühl beschleicht, es hätte genauso gewesen sein müssen, als Betrachter zum ersten Mal ein impressionistisches Gemälde sahen: ein Schock. Durch die Räume der Ausstellung „A New Kind of Joy“ in der Nürnberger Kunsthalle wandernd will man bisweilen ausrufen: Das geht gar nicht! Was für ein Kitsch. Und Jorinde Voigt, die diese Arbeiten produziert hat, stimmt zu. Sie sagt selbst, dass sie ihre Werke eigentlich nicht sehen könne. Das ist entlarvend, aber ehrlich, denn eigentlich ist alles zu verstehen und deutlich. Dennoch sollte man es sich nicht einfach machen. Die Bilder – Tautologie hin oder her – sind, wie sie sind. Mit der Sprache ist dem schwer beizukommen. Und jedes Urteil, so hat es den Anschein, verschleiert nur die Blöße, die sich diese Herausforderungen auf Papier geben.
Alles ist so klar. Die Künstlerin, Jahrgang 1977, die bei Katharina Sieverding in Berlin studierte und seit 2014 eine Professur an der Münchner Akademie der Bildenden Künste innehat, exponiert sich selbst mit gut 70 ihrer konzeptuellen Zeichnungen aus den vergangenen drei Jahren.
Sie zeigen Malerisches und beinhalten bisweilen ungewöhnliche Materialien wie Gold, Palladium, Kupfer oder Aluminium. Und sie sind oft sehr bunt, was in ihren früheren Arbeiten komplett anders, reduzierter, zeichnerischer war. „Hauro-Algorithmus (3)“ von 2015 ist eins dieser Bilder, denen man zunächst mit Kopfschütteln begegnet. Das Querformat, 141 Zentimeter breit, ist gewissermaßen zweigeteilt. Eine geschwungene Grenze gibt es zwischen dem oberen und unteren Teil. Oben dominiert ein blau-türkiser Farbverlauf, der zum unteren Part heller wird. Unten ist nur das Papierweiß zu sehen. Darauf bahnen Linien, gestrichelt oder eine Ellipse andeutend, den Weg des Blicks. Wenige Schrägen und eine Senkrechte wirken stabilisierend. Die Linien sind „Ausrichtungen“, beziehen sich auf einen imaginären Erdmittelpunkt. Die Bezüge zu den Realien unseres Planeten sind nicht wissenschaftlich gesetzt. Oben scheinen Blütenblätter loszufliegen oder Blattgoldflammen zu züngeln. Tief durchatmen. Oder schwarze, schimmernde Federn, jede einzeln aufgebracht auf die großflächigen Formen auf „Synchronicity I“ (2015): „Die Oberflächen zu belegen, dauert hunderttausend Jahre.“ Der Kritiker schreibt’s ja ungern, aber die sind schön.
Erst einmal erden und nachfragen: Das Arbeiten ist für Jorinde Voigt ein performativer Prozess und ein permanenter Vorgang des Übersetzens. Das sieht man anschaulich in einem von der Kunsthalle produzierten Video über die Entstehung von „Thank you but not thank you“. Sichtbar dann auch in der Serie „Both Sides Now“ wie sich nach und nach alles entwickelt. Ihre Arbeitsweise ist im Prinzip stets die gleiche. Zunächst entstehen die farbigen Flächen. Danach wird in der Serie, die sich auf einen Song von Joni Mitchell von 1967 bezieht, eine weitere Farbe aufgetragen. Hier ist es blutrote Schellacktinte. Das Papier ist nass und die Tinte zerfließt schnell. Das sieht dann in etwa so aus, als hätte sich Säure in ein Gefäß gefressen. Anhand der Blätter lässt sich eine Dynamik nachvollziehen, wie die Flächen sich in Größe und Lage auf dem Bildträger verändern.
„Alles was in den Raum der Wahrnehmung gerät, ist Ausgangspunkt der Untersuchung“, sagt die Künstlerin über ihre Arbeitsprozesse. Das Konzept ist gesetzt. Während der Arbeit wird reagiert und changiert. Extrem farbige, Donut-artige Formen, Stalaktiten kommen von oben, Hügel von unten in die Bilder. Wenn sie ihre Notate einbringt, sind es meist Hinweise auf Geschwindigkeit, Richtungen, Rotationen. Denen kann man Folge leisten, und schon rotiert der eigene Blick. Dann gibt es die aus dem Englischen eingeführten „Egomotionen“, ein Wort das Voigt aussagekräftiger als das deutsche „Eigenbewegung“ findet. Diese macht sie sichtbar und dokumentiert damit Zeiträume, die der Betrachter mit eigenen Emotionen füllen darf. „Eigentlich sind das alles Selbstverständlichkeiten, die jeder Mensch tagtäglich erfährt.“ Allerdings macht man sich nicht ständig bewusst, dass es beispielsweise die Schwerkraft gibt. Die erlebt man jedoch in den Bildern – ganz ohne Physikstudium.
Es sind Möglichkeitsräume und die Künstlerin erlaubt das Assoziieren. „Das will das Gehirn, weil es verstehen möchte, sowieso dauernd.“ Sie benutzt dabei ein variierendes Formen-, Farben- und Material-Vokabular, aus dem sie immer neue Konstellationen zusammenfügt. Daher hat man nach der Betrachtung der Ausstellung auch das Gefühl, alles sei ein bisschen zu viel.
Ihr Untersuchungsgegenstand ist sie selbst. Wie etwa in „10 am to 7 pm“ aus dem vergangenen Jahr. Ein kapitales Blatt von 2,8 Metern Breite. Sie legt sich auf das Papier, und die bleibenden Spuren werden Kontur einer Form, die entfernt an den menschlichen Körper erinnert. Knieabdrücke finden sich auf einer anderen Arbeit. Der dreiteilige „Abschied“ bezieht sich auf den letzten Teil aus Mahlers „Lied an die Erde“. Mit dem Komponisten habe sie nur die Haltung gemein. Das Bild selbst ist als Partitur aufzufassen. Wobei Jorinde Voigt den Musikern weitgehende Freiheit lässt, wie etwas instrumentiert und interpretiert wird. Auch gibt es ein modulares Prinzip. Zeiteinheiten werden gesetzt. Bei der Aufführung taktete eine gut sichtbare Digitaluhr die Musiker aufeinander ein. Auch im Betrachten ereignet sich das Bild als je eigene Erzählung des Betrachters. Was assoziiere ich wo?
Jorinde Voigt sieht ihre Arbeit nicht im Gegensatz zur Sprache: „Das Bildhafte ist Information wie das Wort, und Bilder sind die Erweiterung der Worte.“ Die Ratlosigkeit über die verhaltene Wucht dieser Werke und die ständige Hinterfragung der Formen, die sich jeder klassischen Einschätzung entziehen, weicht. Denn alles liegt auf der Hand und mit wertenden Kategorien, etwa „Kitsch“, kommt man schlichtweg nicht weiter. Denn, so sagt Voigt: „Es gibt kein Richtig oder Falsch.