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Event Type:
MUSEUM SOLO EXHIBITION
Location:
SAARLANDMUSEUM SAARBRÜCKEN, Bismarckstraße 11, 66111 Saarbrücken
Date:
November 21, 2015 - April 24, 2016
Time:
Di-So 10 bis 18 Uhr, Mi bis 22 Uhr.
OPENING TONIGHT 7 PM
SCHLÄFT EIN LIED IN ALLEN DINGEN
Das Saarlandmuseum zeigt Gregor Hildebrandt – Am Freitag ist Eröffnung
Tonbänder sind das Haupt-Arbeitsmaterial des international anerkannten Konzeptkünstlers Gregor Hildebrandt. Er wuchs im Saarland auf. Jetzt stellt das Saarlandmuseum ihn vor.
Ganz frisch, einen Monat alt, ist die neue Rolle als Lehrer. Gregor Hildebrandt hat für sechs Jahre eine Festanstellung an der Münchner Akademie. Die Studenten werden ihren Spaß kriegen. „Es muss anstrengend sein, damit es Spaß macht“, sagt Hildebrandt (Jahrgang 1974). Sein Werk spannt flirrende Netze zwischen allen nur denklichen Kunststilen, zwischen konkreter Kunst und Surrealismus, zwischen Minimalismus und Dada. Das Ergebnis: ein mächtiges romantisches Rauschen, unterbrochen von ironischen Zwischenrufen. Hildebrandts Hauptmaterial sind „überholte“ Medien aus dem analogen Zeitalter – Schallplatten, bespielte Tonbänder, Kassetten. Doch mit den Begriffen Nostalgie und Sentimentalität kann er nichts anfangen. Wir treffen uns zu einem Rundgang in der Modernen Galerie, im ersten Museum, das Hildebrandt als Kind einst betrat. Der Sohn eines Psychologen wurde in Bad Homburg geboren, wuchs in Sulzbach auf und studierte in Mainz und Berlin Kunst. Doch im Saarland fand er, wie er erzählt, seine Mentoren: die Künstler Francis Berrar und Thomas Gruber.
400 Quadratmeter Museums-Bühne kann Hildebrandt jetzt bespielen, hat rund 30 Bilder, Skulpturen, Installationen (2007 bis 2015) zu einer Gesamtkomposition arrangiert. In seiner Heimat, sagt Hildebrandt, wollte er sein Werk in ganzer Breite zeigen, also nicht nur die mit Tonbändern beklebten Leinwandarbeiten, mit denen er international bekannt wurde: schwarzes Schillern, Schlangenhauteffekt, soghafte Tiefe, Magie. Wie das geht? Hildebrandt bespielt Bänder mit einem Song in Endlosschleife und klebt sie dann auf Leinwände. Die Musik ist nicht zu hören, auch über Kopfhörer nicht. Nur die Vorstellungskraft des Betrachters bringt sie zum Klingen. „Ich möchte, dass ein Geheimnis bleibt“, sagt Hildebrandt, der mit seinem schwarzen, angeknitterten Mantel wirkt, als sei er einem Caspar-David-Friedrich-Bild entstiegen, „mir geht es um Aufladung.“ Hildebrandts Kunst funktioniert über Sprache. Die Ausstellungen und Werke heißen: „Weiße Nacht hängt an den Bergen“ oder „Und dass zu Frühe die Parze den Traum nicht ende“. Für Saarbrücken hat Hildebrandt die Abwandlung einer Zeile des Gottfried-Benn-Gedichtes „Astern“ gewählt: „Sterne streifen die Fluten.“
Seine Ausführungen spickt er mit Verweisen, Namen, Daten und Zitaten – Mosaikwerk seiner Biografie. Man jagt mit ihm von Duchamps zu Tocotronic, von Trakl zum Film „Bonjour Tristesse“. Sterne, Planeten, Wellen, wohin man schaut. Selbst 3000 Flohmarkt-Schallplatten sind zu Schalen gebogen und dienen nun als Vorhang. Die „Schallplattensäulenwand“ (2010) ist zehn Meter lang, stellt sich quer zur Raumarchitektur, verriegelt den Durchblick – eine selbstbewusste Setzung. Dahinter entstand eine Art Kabinett, in dem Hildebrandt sein „Schachspiel“ (2008) aufgebaut hat, ein unaufgeräumtes After-Party-Szenario: leere Flaschen, umgekippte Kisten. Anti-Kunst in schönster „Ready-made“-Tradition, die nur deshalb interessant ist, weil sie ein Hildebrandtsches Prinzip vorführt: Nichts darf verloren gehen. Die Partygäste bastelten Schachfiguren aus Wein- und Kronenkorken. Auch die ausgeweideten Körper der Kassetten, aus denen die Bänder stammen, ergeben ein mit Harz gegossenes „Kassettenparkett“ (2013). Die farbigen Endschnipsel der Bänder und die Mini-Filz-Quadrate aus den Kassetten formieren sich zu bunten Mosaiken – konzeptionell logisch, doch wenig aufregend. Längst legt Hildebrandt nicht mehr selbst Hand an, das Geduldsspiel der Fertigung überlässt er Assistenten. Der Markt fordert Tribut: „Sonst könnte ich keine drei Ausstellungen im Jahr schaffen“, sagt er.
Ohne Zweifel liefern in Saarbrücken die Wandarbeiten den stärksten Beitrag; Schichtung und Summierung von Erfahrung und Gedanken ist ihr Prinzip. „Und ihr ginget selbdritt durch den Abend (P. Celan)“ visualisiert eine Tonspur, die Bezug nimmt auf den Film „Paul Celan liest“ und erinnert an Kurven, die Herzfrequenzmesser aufzeichnen. Die Imagination tanzt, wir kreiseln im Unsichtbaren – und das im Museum. Donnerwetter.
Quelle: Saarbrücker Zeitung vom 18.11.2015